Unsere Zeit ist oft geprägt von Hektik, Terminen, Stress unterschiedlicher Art und manchmal auch von dem Gefühl ständig verfügbar sein zu müssen, nichts verpassen zu dürfen. Sei es auf der Arbeit, bei der privaten Terminplanung, auf Facebook oder eine der anderen Plattformen. Wir sind andauernd in Bewegung, oft auf dem Sprung, im Modus „Nur noch mal eben schnell“.
Es gibt eine Zeit im Jahr, die sich perfekt eignet, um die Handbremse zu ziehen, einmal richtig runterzufahren, innezuhalten – die Rauhnächte. Ich nutze die Zeit, um den Jahreswechsel seit meinem Umzug aufs Land. Sie hilft mir zurückzukommen. Zurück zu alten Bräuchen, zurück zur Natur, aber vor allem zurück zu MIR.
Diese 12 Tage und Nächte schaffen Zeit zum Besinnen. War das nicht eigentlich der Sinn der gesamten Adventszeit? Sich zu besinnen? Zu seinen Sinnen zurückzufinden? Was war gut? Was nicht? Was will ich abschließen? Wo ist Raum für Veränderung? Was kann bleiben wie es ist?
Wenn du das Gefühl hast, das Leben überrollt dich, es wird zu viel, du muss mal wieder runterfahren oder wenn du einfach die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr genießen möchtest, dann bist du jetzt und hier genau richtig.
Woher kommen die Rauhnächte?
Es ist nicht bekannt, wo der genaue Ursprung der Rauhnächte zu finden ist. Es gibt die Vermutung, dass er in der Differenz zwischen dem germanischen Mondkalender und unserem Sonnenkalender liegt. Ein Mondzyklus, von Neumond bis Neumond, dauert im Durchschnitt 29,5 Tage. Die Differenz zwischen dem Mond- und dem Sonnenjahr beträgt somit rund 11 Tage und 12 Nächte – die Zeit zwischen den Jahren. Traditionell liegen diese Tage zwischen Weihnachten und dem Drei-Königs-Tag. Ich beginne immer am 25.12. und ende in der Nacht auf den 6. Januar.
Unklarheit bei der Wortherkunft
Woher die Bezeichnung Rauhnacht kommt, ist umstritten. Es gibt die Ansicht, dass der Ursprung in dem mittelhochdeutschen Wort „rûch“, was so viel wie haarig bedeutet und das Aussehen der in dieser Zeit umherwandernden Wesen beschreibt. Eine andere Deutung kommt vom Wort Rauch oder räuchern und könnte sich auf die katholische Tradition des Beräucherns der Ställe durch einen Geistlichen beziehen. Im Grunde ist es mir egal woher das Wort kommt, denn eine fehlende oder unklare Bedeutung ändert nichts an der Magie dieser Zeit.
Der Mythos der Rauhnächte
Als ich 2014 in mein Häuschen, irgendwo im Nirgendwo, zog, wurde ich mit etwas Neuem konfrontiert: der Dunkelheit. In meiner neuen Umgebung gab es keine Straßenbeleuchtung und auch sonst kein elektrisches Licht. Wenn ich nachts aus dem Fenster schaue, sehe ich eine schwarze Wand – außer, der Mond scheint.
Diese Schwärze machte mir anfangs Angst, heute löst sie tiefe Ehrfurcht aus und ein Verständnis dafür, wie es den Menschen gegangen sein mag, als sie nur Kerzenlicht und Feuer hatten.
Die Weihnachtstage waren seit je her eine arbeitsfreie Zeit. Eine Zeit des Feierns und der Geschichten. Man erzählte sich von Begegnungen in der Dunkelheit – auch von unheimlichen. Und so rankten sich im Laufe der Jahrhunderte mehr und mehr Mythen um die Zeit zwischen den Jahren.
Ein Wesen mit ihren dämonischen Anhängern soll umherirren und ihr Unwesen treiben. Im Süden Deutschlands spricht man in diesem Zusammenhang von der Percht, hier bei uns im Norden von der Holle. Wie auch immer man sie nennen möchte, ihr wird überall ähnliches nachgesagt. Sie kann Gutes bringen und teuflisch zornig werden. In den Rauhnächten veranstaltet sie mit ihren weiblichen Dämonen die „Wilde Jagt“ und fegt über das Land hinweg. Man muss in dieser Zeit wahnsinnig aufpassen, dass man sich keine schlechten Geister einfängt.
Wer ist Frau Holle?
Den meisten ist sie wahrscheinlich durch das Märchen der Gebrüder Grimm bekannt. Dort ist sie eine alte Frau, die das Wetter beeinflusst. Sie wird eher zahm dargestellt. Frau Holle handelt stets streng, aber gerecht und hat magische Fähigkeiten, bestraft im Märchen die Faule und beschenkt das fleißige Mädchen. Dies ist der damaligen Vorstellung von der Frau geschuldet, waren Märchen damals doch eine Art Anleitung zum Leben. Die Mädchen sollte schön sein, fleißig, gehorsam und bescheiden.
Der Ursprung der Frau Holle ist jedoch wesentlich älter und geht auf eine germanische Gottheit zurück. Sie soll eine Erd- und Himmelsgöttin gewesen sein, eine allumfassende Muttergöttin. Inwieweit der Glaube belegt ist konnte ich nicht herausfinden.
Es gibt viele Geschichten, die mit ihr in Verbindung gebracht werden und sie hat unzählige Erscheinungsformen und Namen. Mit ihr werden Wasserrituale in Verbindung gebracht. Sie, die Fruchtbarkeitsgöttin, schenkte Leben und nahm Leben, sie gewährte Fruchtbarkeit und Gesundheit. Der Brunnen soll der Weg in die Anderswelt sein und somit auch der Weg zu ihr.
Belegt ist, dass Bischof Burghardt von Worms um das Jahrtausend schrieb, dass die Holle mit ihren weiblichen Dämonen auf Tieren durch die Nacht reite und dabei die alljährlichen Winterstürme auslöse.
Winterstürme – die „Wilde Jagt“, hier haben wir sie wieder. Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie die Menschen einst in ihren Hütten saßen. Draußen tobte der Sturm, der Regen peitschte gegen die Wände der spärlichen Behausung und das Vieh schrie in den Ställen. Die Menschen saßen zusammen vor dem Feuer, hofften, dass das Unwetter ein Ende nehmen würde und stellten sich vor, wie die wild gewordene Holle mit ihren Dämonen in der pechschwarzen Nacht ums Haus jagte. Wem würde da nicht der Schauer über den Rücken laufen, auch außerhalb der Rauhnächte.
Im Pflanzenreich erinnert der namensverwandte Holunder, der Holler, an sie. Ihm wurde Opfergaben gebracht, um Krankheiten fernzuhalten, sagt man. Ich schneide in meinem Garten keinen Holunder, ohne ihn vorher um Erlaubnis zu bitten und ohne mich dafür zu entschuldigen. Auch mir ist er, mit seinen unschuldigen weißen und wunderbar duftenden Blüten, auf sonderbare Weise heilig. In den Vorgärten viele Bauernhöfe ist er auch heute noch zu finden, denn er soll vor Blitzschlag schützen.
Von der germanischen Göttin ist im 19. Jahrhundert nicht mehr viel übrig. Verantwortlich hierfür ist das Christentum, denn es verdrängte mehr und mehr den alten Glauben. Für die Holle gab es keinen direkten Ersatz, aber ein Teil ihrer Fähigkeiten und Eigenschaften wurden der Mutter Maria zugeschrieben.
Bräuche in den Rauhnächten
Die Rauhnächte sind von jeher eine mystische Zeit. Man sagt, der Vorhang zwischen unserer und der Anderswelt sei besonders dünn. Gerade deshalb eignet sie sich besonders gut, um mit unseren Ahnen in Kontakt zu treten, Rituale einzuhalten oder zum Orakeln.
13 Wünsche
Der Brauch der 13 Wünsche ist mein allerliebster und ich praktiziere ihn seit vielen Jahren zusammen mit meinem Mann. Hierfür benötigst du lediglich 13 Zettelchen, einen Stift, Feuerzeug und gegebenenfalls eine kleine feuerfeste Schale.
Schreibe in der ersten Rauhnacht, also am Abend des 25. Dezember je einen Wunsch für das kommende Jahr auf einen Zettel und falte ihn dreimal. Wichtig ist, dass du die Wünsche so formulierst, als seien sie bereits eingetreten. Ein Beispiel: Schreibe „Ich habe vier Kilo abgenommen“ anstatt „Ich möchte gerne vier Kilo abnehmen“. Ja ja, ich weiß, dass das Abnehmen ein alter Hut ist, aber wahrscheinlich können es die meisten am besten nachvollziehen 😉. Wenn du ich „möchte gerne“ oder „würde“, „hätte“ etc. schreibst, bleibt dein Wunsch ewig auf dem Stand des Möchten hängen. Wir wollen aber mit unseren Wünschen Tatsachen schaffen.
Lege die gefalteten Zettel in ein Gefäß und wähle intuitiv einen von ihnen aus. Verbrenne ihn, ohne nachzusehen, was auf dem Zettel steht. So übergibst du den Wunsch und lässt das Leben machen. Es wird sich alleine darum kümmern. Das machst du in jeder Rauhnacht, sodass du deinen letzten Zettel am Abend des 5. Januar in Rauch aufgehen lässt. Der Wunsch, der auf dem 13. und letzten, übriggebliebenen Zettel steht, liegt nun in deiner Verantwortung. Du bist im neuen Jahr dafür verantwortlich, dass er umgesetzt wird.
Wenn du die Möglichkeit hast, dann kannst du die Asche eines jeden Zettels nach dem Verbrennen in dem Gefäß aufbewahren und am letzten Tag mit dem Wind verwehen lassen.
Wasche keine Wäsche!
Ein alter Brauch besagt, dass das Wäschewaschen in den Rauhnächten die Gefahr birgt, sich böse Geister ins Haus zu holen. Dies passiert, wenn die Wäsche, vor allem große Laken oder Decken, draußen zum Trocknen aufgehängt werden. Böse Geister können sich während der Wilden Jagt darin verfangen und so ins Haus geholt werden. Eine alte Weisheit besagt, dass aus Leinentüchern Leichentücher werden.
Natürlich ist das in Zeiten von Trocknern und Trockenböden nicht mehr der Fall. Dennoch finde ich diesen Brauch herrlich und ich befolge ihn jedes Jahr. Je weniger ich während der Rauhnächte zu tun habe, desto entspannter werden sie und umso mehr kann man sich auf die wichtigen Dinge in dieser Zeit konzentrieren – auf sich.
Vor den Feiertagen sollte das Haus sauber sein
Es war üblich, das Haus vor Heiligabend gründlich zu reinigen. Auch dies tue ich jedes Jahr. Erspart es mir doch einiges an Arbeit zwischen den Jahren. Ich mache in der Woche davor auch so lästige Arbeiten wie das gründliche Reinigen der Küche und des Bades oder das Saugen unter dem Bett und wenn es das Wetter zulässt auch das Putzen der Fenster.
Früher sagte man, tust du dies nicht und dein Haus ist nicht sauber an Heiligabend, so kommt die Holle und reißt der Frau die Gedärme raus. Ich glaube, dass dieser Aberglauben von einem hinterhältigen Ehemann oder einer bösartigen Schwiegermutter ins Leben gerufen wurde.
Der Brauch des Putzens ergänzt sich gut mit dem Glauben, dass man in den Rauhnächten nicht arbeiten darf, auch keine Haushaltstätigkeiten, da sonst Unglück über Haus und Hof kommt.
Sich fast zwei Wochen mit gutem Gewissen nicht um den Haushalt kümmern zu müssen, beziehungsweise nur das Nötigste zu tun, ist herrlich, findest du nicht?
Keine Weihnachtsdeko nach dem 6. Januar
Spätestens am Tag der Heiligen drei Könige muss die Weihnachtsdekoration wieder in den Kartons sein. Nur so wird man die Altlasten wirklich los.
Orakeln
Da der Vorhang zwischen unserer und der Anderswelt in den Rauhnächten besonders dünn ist, eignet sich die Zeit zum Orakeln. In diesen Nächten bietet sich die Möglichkeit eventuell einen kleinen Blick in das nächste Jahr zu werfen. Ich habe die letzten Jahre nicht viel davon gehalten, aber in diesem Jahr musste ich es ausprobieren und ich fand es herrlich. Ich habe mir Orakelkarten gekauft und jeden Abend eine Karte gezogen, um zu sehen, was der zur Rauhnacht gehörige Monat bringt. Zu jeder Rauhnacht gehört ein Monat aus dem nächsten Jahr, erste Rauhnacht – Januar, zweite Rauhnacht – Februar und so weiter.
Rechnungen und Geliehenes
Achte darauf, alles, was du dir geliehen hast zurückzugeben und fordere auch alles Verliehene zurück. Begleiche alle Schulden und gehe nicht mit offenen Rechnungen ins neue Jahr.
Mir hilft dieser kleine Brauch, den Kopf ein wenig freier zu bekommen. So muss ich mir in der Zeit der Rauhnächte keine Gedanken machen, ob noch was zu erledigen ist. Mit offenen Rechnungen müssen nicht nur offene Geldbeträge gemeint sein, sondern es kann sich auch um ungeklärte Dinge handeln. Versuche dir schon Anfang Dezember einen Überblick zu verschaffen, über die Dinge, die noch erledigt werden müssen. Du wirst feststellen, dass es einen sehr entspannten Jahresausklang gibt, wenn unliebsame Dinge abgeschlossen sind.
Und weitere Bräuche
Die oben genannten Bräuche halte ich jedes Jahr, so gut es geht, ein, um mir die Rauhnächte so angenehm wie möglich zu gestalten. Außerdem habe ich so Zeit, den Fokus auf mich, auf das Abschließen des alten Jahres und das Willkommenheißen des neuen zu konzentrieren.
Es gibt aber noch weitere Bräuche. Hier eine kleine Auswahl:
- Putze alle Türschlösser an Heiligabend blank, das zieht Reichtum an.
- Schneide dir weder die Haare, noch die Fingernägel. Tust du es doch, bekommst du Kopfschmerzen und Gicht.
- Wer morgens pfeift, ruft das Unglück.
- Es darf nicht gesponnen werden und auch sonst müssen die Räder stillstehen.
- Ein Teller mit Keksen oder ein Glas Milch auf der Fensterbank oder ein paar Münzen können Geister, die vorbeiirren besänftigen.
Was du von diesen Bräuchen hältst oder was du daraus machst, ist deine Sache. Mir persönlich sind sie zu Realitätsfern. Einzig der Brauch, dass nicht gesponnen werden darf würde für mich Sinn ergeben – wenn ich noch spinnen würde. In den Rauhnächten steht das Rad der Zeit still und wird erst zwölf Tage später wieder von dem goldenen Eber, dem Tier des Freyr, dem altgermanischen Gott der Fruchtbarkeit wieder angestoßen. Folglich wurde in dieser Zeit auch nicht gemahlen oder gesponnen, denn Wagenräder, Spinnräder und Mühlräder mussten in dieser Zeit stillstehen.
Bedeutung der Rauhnächte in der heutigen Zeit
In unserer Zeit steht auch in der Zeit zwischen den Jahren das Rad nicht still – nicht das Spinnrad, nicht das Mühlrad und auch nicht das Hamsterrad, in dem wir uns, die einen mehr, die anderen weniger, befinden. Vielleicht ist es gerade deshalb an der Zeit stehenzubleiben, innezuhalten. Es ist Zeit sich wieder zurückzuziehen, nach Innen zu schauen, die Dunkelheit zu spüren.
Fühl dich dazu eingeladen. Nutze die Zeit, die einst besinnlich war und zum Langsamwerden einlud. Nutze die Adventstage und ganz besonders die Rauhnächte. Schließe Altes ab, begleiche offene Rechnungen. Wenn du dir in diesen zwölf Nächten erlaubst, dich auf die wesentlichen Dinge zu konzentrieren, die, die dich glücklich stimmen und dich nähren, wirst du merken, dass du mit voller Energie und geladenen Akkus ins neue Jahr startest.
Trau dich, mache es dieses Jahr anders, sage dem Stress goodbye und heiße die Magie willkommen.
Deine
Vanessa