In diesem Artikel bekommst du nicht nur mein Charakterbogen, mit dem ich alle meine Charaktere erschaffen habe und eine absolut geniale Technik aus dem Bereich „Kreatives Schreiben“, um durch die Augen eines Charakters sehen zu können, sondern auch einen Einblick, wie ich einen Charakter erschaffe.

Es kommt vor, dass man als Autor Schwierigkeiten hat, sich vollends auf einen Charakter einzulassen, ihn authentisch wirken zu lassen, ihm eine eigene Persönlichkeit zu geben. Gelegentlich neigt man dazu, auf eigene Erlebnisse und Erfahrungen zurückzugreifen und wenn man nicht aufpasst, beginnen die Charaktere sich innerhalb eines Buches zu gleichen. Kein Wunder, sie entsprangen ja schließlich alle dem gleichen Geist. Für den Leser ist dies äußerst unschön und trägt unter Umständen nicht zum Erfolg des Buches bei. Vielleicht kennst du das selbst. Es gibt Bücher, die legt man zu Seite und denkt: „Ja, war ’ne gute Geschichte. War ganz nett.“ Und dann gibt es Romane, bei denen man bedauert regelrecht, dass sie zu Ende sind. Da fühlt es sich an, als nähme man Abschied von einem liebgewonnenen Menschen.

Um vorzubeugen, dass eine Geschichte flach wirkt, ist es ratsam, die Charaktere im Voraus gut auszuarbeiten, also äußerst ausführlich zu beschreiben und dies auch zu dokumentieren. So erhält man einen besseren Eindruck und ein tieferes Gefühl für den jeweiligen Charakter. Außerdem hat man ein Dokument, auf das man immer wieder zurückgreifen kann, auch wenn man eine längere Schreibpause einlegen muss. Es kann nach mehreren Tagen oder gar Wochen, die man nicht am Text arbeitet, vorkommen, dass man sogar die Augenfarbe des Protagonisten vergisst. Damit ich diese Details nicht wieder nachlesen oder ich mich auf das Adlerauge des Lektors verlassen muss, bin ich ein absoluter Freund von einer ausführlichen Charakterdarstellung. Auch wenn ich einige Punkte, die in meiner Vorlage aufgeführt sind, nie im Buch verwende, habe ich mir angewöhnt, alles auszufüllen.

Ich bin kein Fan, absolut systematisch an die Sache heranzugehen und so lege ich vor Beginn des Schreibprozesses die wichtigsten Eckdaten fest und schreibe auf, was mir zu der Person spontan in den Kopf kommt. Viele weitere Punkte fülle ich erst während des Schreibens aus. Ich muss den Beteiligten erst Leben einhauchen, bis sie sich in meinem Kopf zu einem stimmigen Gesamtbild zusammensetzten. Außerdem ist es mir nicht möglich, wenn sich erst mal eine Idee in meinem Kopf gefestigt hat, theoretisch an die Sache heranzugehen, dann muss ich schreiben.

Halte es so, wie du es am besten kannst. Jeder hat seinen eigenen Weg und das ist auch gut so.

Vielleicht denkst du, dass du das nicht brauchst. Mag sein. Vielleicht bist du der nächste Stephen King und schreibst deinen Text ohne Plot, ohne Charakterbögen. Auch ich dachte anfangs so. Aber im Laufe der Jahre habe ich festgestellt, dass eine detaillierte Darstellung der Charaktere das Schreiben flüssiger macht, das Ergebnis authentischer und die Überarbeitung simpler. Jeder, der vom Schreiben leben will, muss in regelmäßigen, nicht allzu langen Abständen, ein Buch veröffentlichen und da halte ich es für hinderlich, wenn man sich immer wieder die Eckdaten seiner Charaktere im Manuskript zusammensuchen muss. Außerdem beugt bei mir eine gute Verbundenheit mit meinen Charakteren eine der gefürchteten Schreibblockade vor.

Soviel zum Charakterbogen. 😊

Kreatives Schreiben – die Sicht des Charakters

Um sich in die Lage und das Gefühlsleben eines anderen, vielleicht eines spezielleren Charakters hineinzudenken, gibt es eine wirklich gute Schreibtechnik: das Schreiben durch die Augen des anderen. Hier meine ich nicht das Manuskript, sondern ein Nebendokument, wie zum Beispiel ein Tagebuch. Wenn ich mich vollends auf einen Charakter einstellen möchte, dann schreibe ich SEIN (oder IHR) Tagebuch. Das hilf vor allem bei Charakteren mit ausgefallener Persönlichkeit, wie Killern, Narzissten, Fantasiewesen und bei Menschen mit überzogenen Charaktermerkmalen. Hier meine ich die Typen, die besonders freundlich sind, besonders schrill, besonders laut, besonders schwul, uns so weiter.

Um dir zu verdeutlichen, was ich meine, habe ich hier zwei Tagebuchauszüge. Die Abläufe sind identisch, die Sicht der Charaktere nicht.

Beispiel 1:
Heute war ein sehr durchwachsener Tag. Nachdem ich endlich von der Arbeit zurück war, musste ich erst mal einen Kaffee trinken und die Beine hochlegen. Mein Chef ist mir heute wieder so auf die Nerven gegangen. Immer wieder kommt er mit neuen Sachen zu mir. Ich habe den alten Stapel noch nicht mal abgearbeitet und schwups steht er mit einer Sonderaufgabe bei mir in der Tür. Ich verstehe nicht, warum er nicht die anderen fragt. Claudia und Andrea stehen ständig in der Teeküche und quatschen. Bei denen sind doch bestimmt noch Kapazitäten frei, aber nein, er kommt zu mir.
Als ich nach Feierabend endlich zu Hause war und mit meinem Kaffee in meiner Sofaecke saß, einfach meine Ruhe genießen wollte, ging die Tür auf und Bernd kam von der Arbeit heim. Auch er hatte wieder nichts Besseres zu tun, als mich sofort zu belagern. Warst du einkaufen? Was gibt es zu essen? Wie, du hast noch nichts gekocht? Soll ich das etwa machen?
Ach, liebes Tagebuch, alle wollen etwas von mir und ich habe mehr und mehr das Gefühl zu kurz zu kommen. Vielleicht sollte ich eine Woche zu meinen Eltern aufs Land fahren, um von allem abschalten zu können. Das wäre wirklich zu schön!

Jetzt einmal tief Luft holen und das gelesene sacken lassen. Was hast du für einen Eindruck von der Frau? An dieser Stelle kommt in mir die Frage hoch: Wer sagt eigentlich, dass es eine Frau ist? Habe ich nirgends geschrieben, sollte aber so sein 😉
Nun zu einer anderen Darstellung desselben Ablaufs.

Beispiel 2:
Was für ein verdammt beschissener Tag! Es dauert nicht mehr lange und ich sage meinem Chef die Meinung! Dieser aufgeblasene, arrogante Affe. Ständig steht er mit irgendeinem Scheiß bei mir im Büro, obwohl der Mistkerl sehen kann, dass ich an Arbeit ersticke! Was glaubt, er liegt da auf meinem Schreibtisch? Selbst ein Blinder mit Krückstock kann erkennen, dass ich bis oben hin mit Arbeit zugeschissen bin. Er könnte es genauso gut Andrea oder Claudia geben, aber nein, er gibt es mir! Die beiden Schlampen stehen den ganzen Tag in der Küche und saufen Kaffee! Wahrscheinlich lassen sie sich beide von ihm vögeln und als Gegenleistung machen sie sich einen faulen Lenz.
Als ich völlig abgenervt zu Hause ankam und endlich mit meinem Kaffee auf dem Sofa saß, kam der feine Herr nach Hause. Meine Güte! Ständig hat er was zu maulen. Ich hätte nicht eingekauft, nicht gekocht. Was glaubt er eigentlich? Dass er der Einzige ist, der hier arbeitet? Er geht mir so auf die Nerven. Ich musste mich zusammenreißen, dass ich ihm nicht den heißen Kaffee an den Kopf werfe, als im Türrahmen lehnte und mich vorwurfsvoll ansah. Dieser Vollpfosten! Dann soll er doch zu McDonalds fahren und sich dort was zu essen holen. Eines Tages, liebes Tagebuch, ich schwöre dir, eines Tages hau ich einfach ab, damit ich ihm nicht im Schlaf ein Messer in den Hals ramme.

Verstehst du, was ich meine? Zwei Menschen, zwei gleiche Tagesabläufe, aber komplett unterschiedliche Charaktere.
Diese Methode hilft ungemein, um sich auf die Art der jeweiligen Person einzustellen. Wie redet sie? Wie denkt sie? Wie handelt sie?
Sobald man sich eingegroovt hat, fällt es leichter, sie authentisch auf Papier zu bringen. Ziel ist es ja, die Leserin mitfühlen zu lassen, sie soll genauso Freude, Leid, Hass und Liebe empfinden wie die Hauptcharaktere deines Romans.

Schreibe und fülle den Raum mit Magie bis die Luft flirrt.

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Deine

Vanessa

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