Er war der heimliche Star hinter Socke, dem Kater der Protagonistin Sofie, aus „Sofies Verhängnis“.
Am Montag vergangener Woche trat er seinen letzten Gang an, das große Vorbild verließ die Bühne des Lebens. Ich sage danke für die wunderbare Zeit, die vielen Kuscheleinheiten und die Freude, die du mir gemacht hast. Und ich danke dir, dass dein Verhalten meinem Romankater so viel Leben eingehaucht hat

Danke, mein kleiner Freund und komm gut rüber.

Ich habe so unter diesem Verlust gelitten. Was der Verlust mir über mich gezeigt hat und warum zwanghafte Positivität toxisch sein kann, kannst du in diesem Artikel lesen.

Wenn Abschied weh tut

Okay, ich will jetzt nicht zu theatralisch werden, aber genau so habe ich mich die letzten Tage gefühlt. Am letzten Montag habe ich meinen geliebten Kater zum Arzt gebracht, um ihn einschläfern zu lassen. Im Grunde hat es sich schon seit einigen Wochen angekündigt, aber wir Menschen können ja Meister im Verdrängen sein und so traf es mich doch mehr oder weniger (eher mehr) als es dann so weit war. Nachdem ich ihm die Nacht von Sonntag auf Montag so angenehm wie nur möglich gemacht und die Nacht über ihn gewacht habe, konnte ich es am frühen Morgen nicht übers Herz bringen, ihn noch weiter leiden zu lassen. Ich traf die schwere Entscheidung. So gnadenvoll die Möglichkeit des Einschläferns ist, so schwer und unsicher ist das Gefühl, wenn man diese Entscheidung, ohne verbale Rücksprache mit dem Tier, treffen muss. Mir blieb nichts anderes übrig, als auf meinen Bauch und mein Herz zu hören.

Er hatte Wasser in der Lunge, das Herz war nicht mehr gesund, die Nieren zu groß, der Kot konnte nicht mehr abgesetzt werden, das Zahnfleisch wurde bereits gelb und die Augen fielen ein. Er trank nicht mehr richtig und essen wollte er auch nicht mehr. Meine Entscheidung konnte nicht anders ausfallen und trotzdem hätte ich gerne egoistischer gehandelt, denn er hatte einen großen Platz in meinem Herzen.

Sechzehn Jahre

Sechzehn Jahre hat er mit uns verbracht. Er war der ängstlichste Draufgänger oder der mutigste Angsthase, den ich kenne. Stets verletzt und trotz vieler schlimmer Erkrankungen hat er sich wie ein Stehaufmännchen immer wieder erholt. Mehr als zweimal dachten wir, sein letztes Stündchen hätte geschlagen.

Er hat mich genervt, wenn er morgens um fünf mit seiner Pfote in mein Gesicht stupste, weil er Hunger hatte, und er hat mich verzaubert, wenn er mir zum Feierabend maunzend entgegenkam. Keines unserer Tiere hat oder hatte ein so enges und vermenschlichtes Verhältnis zu uns wie unser Kater Loop. Wahrscheinlich lag es daran, dass er mit knapp fünf Wochen zu uns kam und wir so was wie seine Ersatzmutti wurden.

Wenn Trauer zur Belastung wird

Als mein Mann und ich ihn am 9. Mai in unserem Garten begruben, war ich eher gefasst. Ich ging am Nachmittag noch zu meinem Brot-Job und auch der Abend ging halbwegs glatt über die Bühne. Doch die nächsten Tage wurden für mich zu einem Spießrutenlauf. 

Es war so still im Haus, dass ich das Gefühl hatte verrückt zu werden. Niemand, der mich begrüßte, niemand, der am Nachmittag unbedingt auf meinem Schoß liegen wollte, ganz egal, was ich gerade tat. Kein Kater, der mich zur Toilette begleitete, auf den ich in der Küche aufpassen musste, um ihm nicht aus Versehen auf den Schwanz zu treten. Niemand vor dem ich mein Essen beschützen musste, kein Katzenstreu, dass aufzufegen war und plötzlich konnte ich mich auf mein Bett setzen, ohne Angst haben zu müssen, den Kater zu zerquetschen.
Jetzt wurde mir erst bewusst, wie viel er täglich eingefordert hatte. All das fiel jetzt weg und es traf mich wie ein Schlag. Ich trauerte. Mein Herz war schwer, hin und wieder kamen mir die Tränen und ich war mir plötzlich unsicher, ob die Entscheidung wirklich die richtige gewesen war.

Mein Mann ist in solchen Situationen viel reflektierter. Er hat die Gabe, die Situation aus der Sicht des Katers zu sehen. Auch er war traurig über den Verlust, aber immer wieder schaffte er es, mir klarzumachen, was Loop für ein tolles Leben gehabt hat und wie gut es ist, dass er nicht leiden musste. Ich habe keine Ahnung, wie er es macht, aber er ist ein extrem empathischer Mensch und irgendwie kann er diese Situationen trotzdem anders sehen, vielleicht weniger westlich, falls du verstehst, was ich meine. (Er wünscht sich zum Beispiel, dass auf seiner Beerdigung bunt getragen wird. Ich kann das mit meinem katholischen Ursprung nicht garantieren 😉.)

Ich beneidete ihn für diese Sicht auf die Dinge und ärgerte mich andererseits über meine tiefe, alles beherrschende Trauer. Am Mittwoch dachte ich, dass es jetzt endlich mal gut sein müsste. Es war schließlich „nur“ ein Kater. Was würde ich tun, wenn meinem Mann etwas zustoßen würde? In bewegungsloser Trauer verharren? Ich lenkte mich ab, wo es nur ging, und am Donnerstag erwischte ich mich dabei, dass ich den Fernseher einschaltete, um die Stille zu füllen.
Stell dich nicht so an! Hör jetzt auf, ständig an ihn zu denken! Wie lange soll das noch gehen? Das waren Gedanken, die mir immer wieder durch den Kopf gingen. Mir war nicht klar, dass das alles nur noch schlimmer machte.

Schöne positive Welt – toxisch positiv

Wir sind es gewohnt, dass um uns herum alle gut gelaunt sind. Auf Instagram lächeln sie dich durch ihre Filter an, auf Facebook gibt es Kursangebote für ein glückliches Leben und über TikTok will ich gar nicht sprechen. Wenn was schiefläuft, dann spricht man nicht darüber – hoch lebe das Motto: Fake it, till you make it. Bei einer Krebsdiagnose kann es passieren, dass die völlig Verblendeten sagen: „Sei nicht so mies gelaunt, das ist schlecht bei Krebs. Du musst die Welt positiv sehen!“

Auch ich gehöre zu den Menschen, die das Positive in einer miesen Situation suchen und in der Regel auch finden – um fast jeden Preis.
Doch in der letzten Woche holte mich die Realität ein, denn es war mir beim besten Willen nicht möglich das Positive in dem Tod meines Katers zu finden. Selbst die Tatsache, dass er sechzehn großartige Jahre hatte, munterte mich nicht auf, denn ich dachte, es hätten ja auch siebzehn werden können.

Trotzdem gab ich mir alle Mühe, meine Gefühle zu unterdrücken. Ich versuchte meinem Mann möglichst wenig „vorzuheulen“ und drückte die Gedanken weg, wo es nur ging. Das ist eine selten dämliche Verhaltensweise, denn wenn es jemandem gibt, dem ich permanent die Ohren voll heulen kann, dann ist er es. Meine Strategie hielt auch nur bis Samstag 🤷🏼‍♀️.

Am Sonntag wurde mir klar, dass all das Unterdrücken keinen Sinn hat. Das Leugnen und Beschönigen meiner Gefühle machten die Situation, vor allem mir selbst gegenüber, nur noch schlimmer.

Gefühle haben einen Sinn – auch die negativen

Gefühle sind unglaublich sinnvoll. Wut setzt Energie frei, Angst lässt mich meine Stärken erkennen, Langeweile lässt mich handeln und meine Trauer zeigt mir, wie sehr ich lieben kann.

Es ist völlig unsinnig, die Emotionen mit einem Mantel der guten Laune zu bedecken, denn unter der Oberfläche schwelen sie weiter und brechen früher oder später doch durch. Wenn man Pech hat, noch schlimmer als zuvor.
Wenn ich alles gab, um die Tränen zu unterdrücken, suchten sie sich zu einem späteren Zeitpunkt den Weg. Ich hatte damit nur erreicht, dass mich die Zeit des Unterdrückens unendlich viel Energie kostete. Und das alles nur, um den Schein für mich oder andere zu wahren.

Was habe ich gelernt?

Es gibt zwei Dinge, die mir in den letzten Tagen klar geworden sind:

1. es ist nicht sinnvoll zu werten
2. Ehrlichkeit ist die bessere Wahl.

Je mehr ich meine Gefühle bewertet habe, desto schlechter ging es mir mit ihnen. Mehr und mehr hatte ich das Gefühl nicht richtig zu sein, etwas falsch zu machen, nicht trauern zu dürfen. 
Was für ein Bullshit! Es macht absolut keinen Sinn, die eigenen Emotionen zu bewerten (und schon gar nicht die der anderen 😉), denn Emotionen kommen und sie haben ihren Sinn. Wenn man trauert, Angst hat oder Wut im Bauch, wo ist der Sinn, wenn man sich dafür auch noch niedermacht? Im Grunde hat man dann zwei Probleme. Die Emotion UND das Gefühl, nicht richtig zu sein.

Häufig stellt die Umwelt die Frage, wie es einem geht und es gibt mit Sicherheit viele Situationen, in dem dein Gegenüber gar nicht wirklich wissen will, wie du dich gerade fühlst. Aber wenn dich ein Mensch, der dir nahesteht, fragt, wie es dir geht, dann ist es durchaus sinnvoll ehrlich zu sein. Du gibst dir die Chance, dich nicht verstellen zu müssen und deinem Gegenüber die Möglichkeit, adäquat zu reagieren.
Eine Bekannte fragte mich am Donnerstag, wie es bei mir läuft und ich antwortete: schlecht! und erzählte, was passiert war. Ihre ehrliche Reaktion: „Oh, wie schrecklich! Aber warum hast du denn nicht angerufen? Du kannst dich immer bei mir melden, wenn so was Schlimmes passiert.“ 

Ich war so verwundert und so glücklich über diese Aussage, denn plötzlich wusste ich, dass dort wirklich jemand ist, der in einem emotionalen Notfall für mich da wäre. Das war in diesem Augenblick ein unglaublich schönes Gefühl.

Mein Fazit

Tatsächlich habe ich das Gefühl, dass der Druck nachgelassen hat, seitdem ich mir gestatte zu trauern. Vielleicht liegt es an der Zeit, die vergangen ist, vielleicht auch an meinem Selbstmitgefühl – ich weiß es nicht. Letztlich ist es auch egal. Hauptsache, ich nehme wahr, dass nach dem Tal wieder ein Gipfel kommt.

Was habe ich gelernt? In erster Linie, dass der Tod zum Leben gehört. 

Mir ist klar geworden, dass es gut ist, aufkommende Gefühle weder zu bewerten noch zu unterdrücken. Aber das wichtigste ist vielleicht die Erkenntnis, dass nicht immer alles Friede, Freude, Eierkuchen ist. Wenn es dir richtig scheiße geht, dann kannst du niemanden gebrauchen, der dir sagt, dass morgen die Sonne wieder aufgeht. Noch schlimmer ist es, wenn die Person gleich im Anschluss erzählt, dass sie deine Gefühle nachvollziehen kann und – zack – bei der eigenen Geschichte ist.

Wenn mir ein anderer Mensch in Zukunft sein Leid klagt, werde ich versuchen, nicht mit positiven Sichtweisen seine Laune aufzubessern oder ihm aus der Misere zu helfen. Ich denke, es ist besser eine Art Spiegel für ihn zu sein und das Gesagte zu reflektieren, denn in letzter Konsequenz muss nicht ich verstehen, was los ist, sondern die Person selbst. Ich kann nur eins machen: zuhören und da sein.

Stoff für das nächste Buch

Ich glaube, meine Emotionen der letzten Tage sind ein guter Katalysator für meinen nächsten Roman. Zwar wird es dort nicht direkt um das Thema Tod und Trauer gehen, aber unterdrückte Gefühle und nicht geklärte Situationen sind durchaus ein großes Thema. Also wenn es etwas Gutes hatte, dann die frisch gefühlten Emotionen, die ich mit Sicherheit unterbringen kann, wenn am 01. Juni meine Challenge „1 Manuskript in 6 Monaten“ startet.

Bin ich jetzt schon wieder dabei, etwas Positives im Negativen zu suchen? 🤷🏼‍♀️ Ich kann manchmal auch nicht aus meiner Haut.

Fühl dich gedrückt!

Deine Vanessa

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