Tsewa, was ist das und warum ist es für uns so wichtig? Warum sollten wir es in unseren Alltag integrieren und kultivieren? Wie Selbstmitgefühl deinen Umgang mit dir selbst achtsamer und liebevoller macht.
Mitgefühl für andere kennen wir sicherlich alle. Wenn ein Mensch, der dir nahesteht, eine Niederlage hinnehmen muss oder so richtig scheitert, dann fühlen wir mit und haben oft den Wunsch dem anderen zu helfen und mit ihm einen Weg aus der Misere zu suchen.
Aber wie verhalten wir uns selbst gegenüber? Meist komplett anders. Oft verurteilen wir uns, schimpfen innerlich auf unser Versagen, verfallen ab und zu sogar in Selbstmitleid.
Wenn du mal einen anderen Weg einschlagen möchtest, ist das Lösungswort Tsewa – Selbstmitgefühl.
Was es mit Tsewa auf sich hat, erfährst du in diesem Artikel.
Mitleid vs. Mitgefühl – wo ist der Unterschied?
Mitleid und Mitgefühl kennen wir alle, doch lass uns einmal genauer hinsehen, was hinter den Begriffen steckt, damit wir die Bedeutung von Selbstmitgefühl besser verstehen.
Mitleid
Mitleid ist ein Gefühl was wir fast alle haben und auch kennen. Man sieht jemanden leiden und leidet im wahrsten Sinne des Wortes mit und das, obwohl man selber nicht betroffen ist und das Leid nicht selbst erfährt. Das Fatale am Mitleid ist, dass wir leiden und somit nicht in der Lage sind etwas zu ändern. Wir sind jedem, dem wir Mitleid entgegenbringen, keine Hilfe.
Mitgefühl
Beim Mitgefühl ist das anders. Ich bringe dir ein Beispiel aus meinem Leben, damit es verständliche wird. Es gibt Momente in meinem Job als Autorin, da greife ich voll daneben und bin total gefrustet, weil die Verkaufszahlen abrutschen oder sich die Abonnentenzahlen auf Facebook im Sinkflug befinden. In einer solchen Situation bringt mein Mann oft Mitgefühl für mich auf und versucht, mit mir zusammen eine Lösung zu suchen. Er wird aktiv und möchte mir aus der Situation hinaus helfen.
So weit klar?
Mitleid – mit leiden – passiv.
Mitgefühl – mit fühlen – etwas ändern wollen – aktiv.
Tsewa – Selbstmitgefühl
Selbstmitgefühl (Tsewa) bedeutet also, dass ich mir Mitgefühl entgegenbringe. Wie ein guter Freund schimpfe ich nicht auf mich oder betrauere mich und die Welt, sondern ich akzeptiere diese Situation und versuche aktiv einen Weg hinauszufinden. Das hat den unglaublichen Vorteil, dass das Handeln extrem Lösungsorientiert ist und sich um einiges besser anfühlt als sich in seinen Problemen zu suhlen.
Das Wort Tsewa stammt aus dem Buddhismus und bedeutet Mitgefühl und Selbstmitgefühl. Die Buddhisten unterscheiden nicht zwischen den beiden Begriffen.
Mir fehlt Tsewa!
Ich bin auf diesen Ausdruck in dem Podcast „Betreutes Fühlen“ gestoßen. Meine anfängliche Skepsis legte sich ziemlich schnell und machte einem Aha-Erlebnis platz. Einfach mal ein wenig mehr Mitgefühl für sich aufbringen. Hört sich einfach an, ist es aber nicht.
Ich befinde mich gerade in meiner Fastenzeit, genauer gesagt am siebten Tag. Warum ich das mache? Tja, das hat zwei Gründe. Zum einen geht es mir nach dem Fasten körperlich einfach besser, da die Gelenkschmerzen, die vermutlich von einer leichten Arthrose kommen, verschwinden. Außerdem bin ich fast fünfzig und kämpfe seit Jahren gegen mein langsam aber stetig steigendes Gewicht. Prinzipiell habe ich kein Problem mit ein paar mehr Pfunden, aber wenn ich merke, dass mein Bauch beim Yoga im Weg ist, dann wird es mir definitiv zu viel. Mein Ziel: weniger Schmerzen, weniger Gewicht.
Im Gegensatz zu den letzten Fastenkuren kämpfte ich dieses Jahr in den ersten Tagen schwer mit meiner Psyche. Keinen Zucker, nur eine Tasse Kaffee am Tag – ich fühlte mich wie ein Junkie auf Entzug. Doch dabei blieb es nicht. Ich bin ein Mensch, der Gemütlichkeit immer mit Essen koppelt. Man trinkt gemütlich einen Kaffee zusammen, dann aber mit Keksen. Es läuft ein toller Film im Fernsehen, wo ist die Tüte Chips? Ein Glas Wein mit einer Freundin, her mit den Nachos und der Guacamole.
Ich litt also nicht nur unter echten körperlichen Entzugserscheinungen, sondern mir fehlte jegliches Gefühl von Gemütlichkeit. Meine Laune und mein Respekt über das, was ich gerade leistete, erlebte eine rasante Talfahrt. Ich war weder in der Lage anzuerkennen, dass ich erfolgreich in meine Fastenzeit gestartet war, noch war mir bewusst, dass ich den körperlichen Hunger erfolgreich abgestellt hatte. Ich dachte nur noch darüber nach, warum ich so ein Looser bin und es in meinem Leben keine gemütlichen Momente ohne Essen gab.
Wenn ich das permanent essen nicht ließe, dann würde ich nie mein Gewicht reduzieren! Das musste aber sein, denn die Kilos störten mich unglaublich und ich fühlte mich in meinem Körper nicht wohl. Ich schimpfte innerlich mit mir, nannte mich einen Versager und bekam leichte Panik bei der innerlichen Forderung das gemütliche Essen in Zukunft zu unterlassen.
Aber andere konnten das schließlich auch. Andere konnten sich zusammenreißen und aßen fast immer gesund. Nur ich nicht, ich war dazu nicht in der Lage. Und so kämpften die Gesundheitsfanatikerin und die Gemütlichkeit ihren Kampf auf meine Kosten. Bis ich diesen Podcast hörte.
Ich war auf dem Weg nach Hause, als mich die Erkenntnis plötzlich wie ein Schlag traf. Gemütlichkeit und Essen gehen bei mir Hand in Hand. Das ist nun mal so und ich sollte es einfach akzeptieren. Ich kannte seit meiner Kindheit nichts anderes. Schon meine Mutter stellte Kekse auf den Tisch, wenn sie nachmittags ihren Tee trank. Sonntags zum Kaffee gab es immer Kuchen und wenn sie es sich Abends gemütlich machten, wurde oft geknabbert oder es gab ein Glas Wein. Mir wurde klar, dass ich akzeptieren musste, aus welchem Stall ich kam.
Warum gab es bis zu diesem Zeitpunkt nur alles oder nichts bei mir? Entweder immer Chips beim Film oder nie! Warum eigentlich? Was ist das für ein Bullshit? Ich begriff, dass ich sehr wohl etwas essen kann, wenn ich auf der Couch herumlungere. Wenn ich mir Sorgen um mein Gewicht mache, dann wäre eine Möglichkeit im Laufe des Tages weniger oder gesünder zu essen. Oder ich könnte Abends anstatt Chips einfach einen Teller Obst auf den Tisch stellen. Warum war ich nicht schon früher auf diese Gedanken gekommen?
Ich kann es dir beantworten. Weil ich die ganze Zeit damit beschäftigt war mich mit Vorwürfen zu bombardieren. Erst als ich mein Problem erkannte und Mitgefühl für mich und meine Situation aufbrachte, war ich in der Lage sie objektiver zu beurteilen und nach Lösungsansätzen zu suchen.
Ich kann dir nicht sagen, wie ich diese in Zukunft umsetzten werde, aber alleine das Gefühl, welches ich im Augenblick der Erkenntnis und des Mitgefühls hatte war unbeschreiblich. Es hat mir eine schwere Last von den Schultern genommen.
Tsewa – Übungen von Kristin Neff
Kristin Neff ist Professorin für Psychologie und Persönlichkeitsentwicklung und arbeitet an der Universität von Texas. Sie ist die Erste, die das aus dem Buddhistischen stammende Konzept des Selbstmitgefühls erforschte. Auf ihrer Internetseite habe ich einige hilfreiche Übungen gefunden, wenn man sich im Selbstmitgefühl üben möchte.
Erforsche dein Selbstmitgefühl durch Schreiben
Wenn es etwas gibt, dass du an dir nicht magst, für dass du dich schämst, bei dem du dich unsicher fühlst oder wo du glaubst nicht gut genug zu sein. Dann schreibe dir zu diesem Thema selber einen Brief. Nimm die Position eines Außenstehenden ein. Das hilft, deine Situation aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und die Dinge wie ein Außenstehender zu sehen. Das ist der erste Schritt der Akzeptanz der Situation.
Ein Selbstmitgefühl-Tagebuch
Führe täglich ein Tagebuch, in dem du schwierige Ereignisse des Tages durch die Brille des Selbstmitgefühls betrachtest. Dies kann laut Prof. Neff das geistige und auch das körperliche Wohlbefinden verbessern. Selbstliebe und Achtsamkeit sollen so zu einem Teil des täglichen Lebens werden.
Wie würdest du einen Freund behandeln?
Wenn du das nächste Mal eine Niederlage erlebst oder scheiterst, frage dich, wie du reagieren würdest, wenn dies einem Freund oder einer Freundin passiert. Was würdest du ihnen raten und wie würdest du die Situation sehen? Trete auch dir so entgegen.
Wenn du dieses Thema interessant findest und mehr darüber lesen möchtest, dann kann ich dir das Buch von Kristin Neff Selbstmitgefühl: Wie wir uns mit unseren Schwächen versöhnen und uns selbst der beste Freund werden empfehlen.
Ich hoffe, ich konnte dir die Bedeutung und die Wichtigkeit des Selbstmitgefühls etwas näher bringen. Ich wünsche dir viel Tsewa in deinem Leben. Sei gut zu dir. Wenn du es nicht bist, wer soll es denn sonst sein?
Deine
Vanessa