Warum der Minimalismus für mich nicht nur ein Trend, sondern ein Heilmittel war. Eine kleine Geschichte über das Loslassen und wie ich dadurch Autorin geworden bin.

All die tausend Dinge, die einen umgeben und an einem kleben, bis man das Gefühl hat unter ihnen zu ersticken. 
Wenn du das kennst, dann geht es dir wie mir vor einigen Jahren. Dann ist es vielleicht Zeit, den Panzer zu sprengen, sich freizumachen und richtig tief Luft zu holen.

Als Silbermond 2015 in ihrem Song „Leichtes Gepäck“ sang:

Eines Tages fällt dir auf, dass du 99 % nicht brauchst.
Du nimmst all den Ballast und schmeißt ihn weg, denn es reist sich besser mit leichtem Gepäck …

Silbermoond –

hatte meine Reise bereits volle Fahrt aufgenommen. Ich konnte den Inhalt des Liedes so gut nachvollziehen, dann ich hatte selbst erlebt, was es bedeutet, wenn „die Sachen dich besitzen“ und wie gut es sich anfühlt, wenn man die Ketten sprengt.

Ich will damit nicht zum Konsum und anschließendem Wegwerfen ermutigen. Im Gegenteil, ich möchte dich einladen, eine echte Revolution zu starten und dich von Dingen, die du nicht brauchst, zu trennen und nicht wieder neu anzuschaffen. Nachdem ich gelernt hatte, 80 % meines Besitzes zu verkaufen, zu verschenken oder zu entsorgen, fühlte ich mich im Herzen befreit.

Vor zehn Jahren waren meine Schränke voll mit Dinge, die ich nicht einfach nur geschenkt bekommen hatte, sondern die mir mit einer, meist rührseligen, Geschichte überreicht worden waren.

„Ach, ich habe so lange nach etwas passendem gesucht und nach Wochenlangem grübeln und fünf Stunden durch die Stadt rennen habe ich es endlich gefunden. Ich bin mir sicher, dass du es lieben wirst…“

„Das ist das Service deiner Oma. Es hat schon zwei Weltkriege überstanden und das nur, weil sie es vor dem großen Bombenangriff im Garten vergruben …“

„Das habe ich auf eBay für dich ersteigert. Das war vielleicht aufregend …“

Echt jetzt? Wenn man zu den weniger empathischen Menschen zählt, dann sind solche Geschichten nicht weiter schlimm, aber wenn man so wie ich jede Geschichte zu Herzen nimmt, dann kann man die Geschenke nicht irgendwann aus seinem Leben verbannen. Der Mensch ist bekanntlich sehr leidensfähig und so stand ich irgendwann in meinem Wohnzimmer und sah mich um. Einem Raum voll mit Schränken und Nippes, in einem Haus voll mit Möglichkeiten der Aufbewahrung, mit Regalen über und über gefüllt im Kleinkram, einem Kopf, der sich drehte, einem Herz, das schwer wurde, und einem fetten Stein auf der Brust.

Wie begann die Revolution? Warum Minimalismus?

Aber gehen wir noch zwei weitere Jahr zurück. Ich hatte meinen Job satt und wollte Geld verdienen, mit etwas, das ich gerne tat. Aber alles, was mir einfiel, brachte viel zu wenig Geld, um meinen Teil zu unserem Lebensstandard beizutragen. Ich zerbrach mir den Kopf, was man Kreatives tun könnte, um damit mindestens 1500 Euro im Monat zu erwirtschaften – von Anfang an versteht sich.

Mein Mann war schließlich derjenige, der bei einem Waldspaziergang eine für mich weltverrückende Feststellung machte: „Wir zäumen das Pferd falsch herum auf. Die Frage ist nicht, wie man so viel Geld verdienen kann. Die Frage ist, wie kann man die Kosten reduzieren, um nicht so viel verdienen zu müssen.“

Spontane Reaktion: Das geht nicht!

Aber warum eigentlich nicht?
Der Gedanke brauchte einige Zeit, um in uns zu reifen und dann fällten wir eines Tages die Entscheidung. Wir wollten unser Haus verkaufen und uns verkleinern. Das bedeutete, eine Reduzierung von 125 qm zuzüglich Dachboden und Keller auf 40 qm ohne alles.
Was das bedeutet, kannst du dir wahrscheinlich vorstellen. Schau dich einfach in deiner Wohnung oder deinem Haus um, und reduziere alles um zwei Drittel. Dann hast du eine ungefähre Vorstellung, vor welchem Berg wir standen.

Wir gingen systematisch an die Sache. Was wir noch verkaufen konnten, priesen wir in unserem Freundeskreis und auf verschiedenen Internetplattformen an. Was man nicht verkaufen konnte, brachten wir zum „alz“, dem sozialen Möbellager unseres Stadtviertels und den Rest entsorgten wir Schritt für Schritt.
Obwohl ich anfangs noch mit meinem schlechten Gewissen kämpfte, stellte sich nach und nach ein gutes Gefühl ein und es gelang mir, mich auch von Dingen zu trennen, die viele in die hochemotionale Schublade stecken, wie zum Beispiel Fotografien.
Viele, denen ich erzähle, dass wir bis auf zwei Alben alle Fotos entsorgt haben, können das oft nicht verstehen.
Wir hatten zum Einzug in unser Haus einen ganzen Umzugskarton (!!!) mit Fotos auf den Dachboden gestellt und als wir neun Jahre später entrümpelten, kramten wir ihn wieder hervor. Mal ehrlich, wenn man Bilder neun Jahre nicht vermisst und sich nicht ansieht, warum sollten sie dann in den nächsten achtzehn Jahren eine Bedeutung bekommen?

Der gesamte Prozess dauerte fast zwei Jahre, doch am Ende war ich sogar so weit, dass ich bis auf zwei Dinge alles von meiner verstorbenen Oma, die ich sehr geliebt habe, weggeben konnte. Als ich eines Tages vor ihren Sachen saß, hörte ich sie sagen: „Schitt was drauf! Weg mit den Sachen. Was willst du mit dem alten Zeug?“ Danke Mia.

Du musst nicht alles verkaufen und nicht so radikal sein, aber wenn du das Gefühl hast, dass dein Besitz dich besitzt und nicht andersherum, dann starte doch auch du eine kleine Revolution.

Was kannst du tun?

  • Durchforste deinen Kleiderschrank. Was hast du im letzten Jahr nicht getragen? Welche Klamotten liegen aus reiner Sentimentalität in Schrank? Vor allem wir Frauen kennen das – fast jede von uns hat eine Hose, in die man irgendwann mal wieder hineinpassen mochte.
    Wenn du es in dem letzten Jahr nicht geschafft hast, diese Hose anzuziehen, warum willst du dich weiter damit belasten und dich jedes Mal, wenn du sie siehst, erinnern lassen, dass du zugenommen hast?
  • Gibt es Nippes, den du beim Staubwischen immer wieder gleichgültig in die Hand nimmst? Überlege dir, welche Dinge dein Herz berühren und lass nur die in deinem Regal stehen.
  • Hast du Bücher, die nur noch herumliegen und die du nicht wieder lesen wirst? Verschenke sie doch einfach. Jemand anderes wird sich bestimmt über neuen Lesestoff freuen.
  • Wie sieht es mit deinen Papieren aus? Hast du auch jeden Brief über die Änderung deiner Versicherungsrate in einem Ordner? Oder Lohnabrechnungen von vor zehn Jahren? Oder Arbeitsverträge von deinem vorletzten Arbeitgeber? Prüf doch mal, was du wirklich brauchst. Ich digitalisiere seit einem Jahr wichtige Post und lediglich Versicherungspolicen etc. habe ich noch im Original.

Glaub mir, wenn man erst mal anfängt, dann merkt man, dass es viele Bereiche gibt, in denen man aussortieren kann. Trau dich einfach hinzusehen und zu handeln.

Heute habe ich einen Karton, in dem ich Dinge lager, von denen ich nicht weiß, ob sie vielleicht doch wichtig sind. Ich stelle den Karton ein Jahr in den Schrank und wenn ich ihn ein Jahr nicht hervorhole, dann kommen die Sachen anschließend weg.

Was habe ich gelernt?

Oft kaufen wir, um glücklich zu sein, und merken nicht, wie viel Leid es dann verursacht.
Wenn ich heutzutage den Drang verspüre etwas zu kaufen, dann stelle ich mir folgende Fragen:

  • Ist es so schön, dass es mein Herz höherschlagen lässt, und wird dieses Gefühl auch noch in zwei Monaten da sein?
  • Brauche ich das wirklich? Ist es notwendig?
  • Kann ich es mir leihen?

Manchmal gibt es Dinge, die man nur ein Mal oder alle Jubeljahre mal braucht. Bei mir sind das unter anderem ein Entsafter für die Herstellung von Holunderbeersaft oder ein Vertikutierer. Ich mache alle paar Jahre Saft und das Gleiche gilt für die Belüftung meines Rasens. Warum in aller Welt soll ich mir diese Dinge kaufen und sie dann für mindestens 364 Tage im Schrank oder Schuppen stellen? Warum nicht vom Nachbarn oder der Oma leihen? Mal abgesehen davon, dass du dich damit nicht belasten musst, schont Leihen die Umwelt, den Geldbeutel und stärkt die zwischenmenschlichen Beziehungen.

Ich habe seit meiner großen Revolution eine andere Einstellung zum Kaufen und Konsumieren. Ich kann gelassen durch Ikea laufen, ohne das Gefühl zu haben, dass es an jeder Ecke etwas gibt, dass ich dringend benötige oder einfach nur besitzen will. Ich habe nicht mehr das Bedürfnis, unsinnige Dinge zu kaufen, um für einen kleinen Moment Glück zu erfahren.
Die Trennung von meinem Hab und Gut hat mich nicht nur befreit, sie war wie eine kleine Therapie für mich. Ich habe hinterfragt, warum ich konsumiere und in welchen Fällen es eine Ersatzbefriedigung darstellt, und vor allem wofür es eine Ersatzbefriedigung ist.

Heute bin ich glücklich mit meinem Leben und mir. Das kam nicht allein durch die materielle Befreiung, sondern auch durch die geistige Freiheit, die mir dadurch geschenkt wurde. Nach dem Klären im Außen konnte ich vieles in meinem Inneren klären. Das hat mich zutiefst zufrieden gemacht und die Möglichkeit erschaffen, meine Kreativität wiederzubeleben. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass ich heute keine Autorin wäre, wenn mein Mann damals nicht diesen einen Samen gesät hätte.

Trau dich, wenn du spürst, dass es dich erdrückt. Sei auch du ein kleiner Revoluzzer und entdecke, was in dir steckt.

Deine Vanessa

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